Der Kemperbach

Radium

Die Entdeckung des radioaktiven Elements Radium 1898 durch Marie Curie wurde begleiten von einer Welle der Begeisterung. Der Hype um das Element brachte allerlei kuriose Produkte auf den Markt. Neben Radiumheilbädern und medikamentösen Behandlungen, drängten nach der Jahrhundertwende zunehmend radioaktive Genussmittel, Kosmetika und sogar Schokoladen auf den Markt. Von diesem Trend wollten auch die Unternehmer Christen und Wilhelm Vogel profitieren, als sie 1904 in Köln-Dellbrück die Radium Rubber Limited gründeten, die wenige Jahre später in Radium Gummiwerke umfirmiert wurde.

Ehemalige Gummiwerke

Die Fabrik, vormals Firmensitz der Fahrradfabrik Lennartz, entstand auf dem Gelände einer alten Wassermühle, der Grafenmühle, an welche der Grafenmühlenweg erinnert. Produziert wurden in den Radium-Werken diverse chirurgische Artikel, Hygieneartikel aber auch Wärmflaschen und Badekappen, wie Anzeigen in damaligen Fachblättern nachweislich belegen.

Zur selben Zeit hatte Franz Clouth in Köln-Nippes bereits ein weitaus größeres Werk etabliert. Die Freundschaft mit Ferdinand Graf von Zeppelin bestärkte ihn, seine Ambitionen auszuweiten und fortan Ballons und Hüllen für Luftschiffe herzustellen. Franz Clouth war vor seinem Tod im Jahr 1910 größter Anteilseigner der Radium-Werke in Dellbrück. Nachfolger der Geschäftsführung wurde sein Sohn Max Clouth, der schließlich auch den Aufsichtsratsvorsitz der Radium Gummiwerke übernahm. ErweiterungsbautenObgleich die Radium Gummiwerke im Laufe der Zeit ein ganzes Karree entlang der Hatzfeldstraße eingenommen hatten, fällt der Name Radium heutzutage meist nur im Kontext mit dem Wohnkomplex Ecke Grafenmühlenweg. Drei Gebäudeteile bilden aus heutiger Sicht eine Einheit, entstanden ursprünglich jedoch in zwei Bauphasen. 1909 wurden zunächst die beiden Gebäudeflügel entlang der Hatzfeldstraße und des Grafenmühlenwegs errichtet. Beides Betonskelettbauten mit Mansardendächern nach dem Entwurf von Oskar Lindemann. Die Karriere des damals jungen Architekten, geboren im September 1880 in Thüringen, nahm in Bergisch Gladbach seinen Lauf, wo er Ludwig Bopp bei der Verwirklichung des Rathauses, ein repräsentatives Gebäude im Stil des Historismus, half und unterstützte.

Rohstoff Kautschuk

Gummi ist ein elastomerer Kunststoff, der durch Vulkanisation von Kautschuk entsteht. Naturkautschuk wird aus dem Saft, Latex, des Kautschukbaums, lat. Hevea brasiliensis, gewonnen. Das Wolfsmilchgewächs stammt, wie der Name andeutet, ursprünglich aus Südamerika. Die Indios nutzten den Rohstoff bereits als Spielball und fertigten aus dem Milchsaft wasserdichte Gefäße und Kleidungsstücke. KautschukboomEinen regelrechten Kautschukboom erlebte Brasilien, nachdem Charles Goodyear im Jahr 1839 das traditionelle Vulkanisationsverfahren mit Schwefel erfunden hatte. Die Nachfrage stieg rapide an, so das die heutige Millionenstadt Manaus zu einer florierenden Metropole am Amazonas aufstieg. Um dem brasilianischen Kautschukmonopol ein Schnippchen zuschlagen, schmuggelte Sir Henry Wickham Pflanzensamen im Auftrag des britischen Empires nach London, welche von dort als Setzlinge in die Kolonien Ceylon und Malaysia verschifft wurden. ProduktionsmengenHeutzutage hat Thailand Brasilien den Rang als Hauptproduzent abgelaufen. 2016 wurden in Thailand knapp 4,5 Mio. Tonnen Naturkautschuk gewonnen. Im selben Zeitraum betrug die Menge in Brasilien mit annähernd 0,19 Mio. Tonnen nur einen Bruchteil dessen. Kautschuk konnte erstmals 1909 durch Fritz Hofmann synthetisiert werden. Auch sind bereits Alternativen zum Kautschukbaum im Einsatz. So enthalten die Wurzeln des Russischen Löwenzahns sehr ähnliche Substanzen.

Gebäudearchitektur

Erst 1927 wurde der Grundstein gelegt für den Eckbau, unter der Einmündung des Kemperbachs in die Strunde. Georg Falck entwarf den Verbindungstrakt im Stil der weißen Moderne inspiriert vom Bauhaus. Damals noch mit imposanter Fensterfront. Viele Geschäftsgebäude und Kaufhäuser entstanden aus seiner Zusammenarbeit mit der Leonhard Tietz AG, spätere Galeria Kaufhof.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann synthetischer Kautschuk an Bedeutung. Neue Kunststoffe drängten auf den Markt und stellten die kautschukverarbeitenden Betriebe vor neue Herausforderungen. Mitten in Zeiten der Ölkrisen, im Jahr 1976, mussten die Radium Gummiwerke ihren Betrieb einstellen. Sanierung der Radium-WerkeDie Reihe bekannter Architekten sollte sich dennoch fortsetzen, als Teile der Gebäude in öffentlich geförderte Wohnungen umgewandelt wurden und auf dem Industriegelände Eigenheime entstanden. Ein Prozess, der bis in die 1990er andauerte und in den 1980er Jahren von einem Brand in der Industriebrache überschattet wurde. Verantwortlich für die Sanierung der drei Gebäude Ecke Grafenmühlenweg Hatzfeldstraße war das Architekturbüro Neufert & Mittmann. Peter Neufert, Sohn des Bauhausschülers Ernst Neufert, trat in die Fußstapfen seines Vaters und entwarf in den 1970er Jahren u. a. das Keramion in Frechen und das Herkules-Hochhaus an der Inneren Kanalstraße. RadiumstraßeEin Stück alter Industriegeschichte in Dellbrück fand mit der Sprengung des Schornsteins ein Ende und schuf Platz für weitere Wohngebäude und Geschäftsräume. Die Radiumstraße entstand.

Schwarzer WegFußweg Richtung Radium vorbei an den Kleingärten am KemperbachAuf Karte zeigen

Schwarzer Weg

Für Verwirrung sorgt gelegentlich der Schwarze Weg, denn der kleine Fußweg zwischen Hatzfeldstraße und Kleingärten am Kemperbach, wird von Autofahrern zu gerne als Verlängerung der Seitenstraße „Im Wieschen“ gehalten, an deren Ende ein Parkplatz wartet.

Der Weg verbindet das Radium mit der Dellbrücker Hauptstraße und läuft geradewegs auf die Kirche Sankt Josef zu. Während der Geschäftstätigkeit der Radium Gummiwerke befand sich am westlichen Ende des Schwarzen Wegs ein kleiner Park, in dem Fabrikarbeiter unter Kastanienbäumen verweilen konnten. KastanienbäumeDer Hain hatte noch mehrere Jahre nach Stilllegung Bestand, verwilderte dann recht schnell. Einzig Betonbänke im Unterholz ließen eine parkähnliche Grünanlage erahnen. Die Mehrzahl der Bäume wich Anfang der 1990er Jahre einem Bürogebäude. Eine verbliebene Kastanie beschattet seitdem den Firmenparkplatz.

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